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02.06.1924: Die Indianer in den USA erhalten alle Bürgerrechte

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Von Autor/in Sabrina Fritz

Jedem Indianer die amerikanische Staatsbürgerschaft zu verleihen war der Höhepunkt einer Angliederung der indigenen Stämme. Diese fürchteten den Beschluss und um ihre Identität.

Sie nannten es „Äpfel machen“: „Rote Haut“ und im Inneren „ein weißer Kern“. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war die sogenannte Umerziehung der Indianer in den USA in vollem Gange: Kinder wurden auf Internate geschickt, wo sie in christlichem Glauben erzogen wurden. Sie mussten Englisch sprechen und lange Kleider und Anzüge tragen.

Medikamente mit halluzinierender Wirkung und Medizinmänner wurden verboten. Die Männer sollten sesshafte Farmer werden und nicht mehr jagen. Doch das westliche Saatgut ging in der trockenen Erde nicht auf. Das US-Militär verteilte Kaffeebohnen, doch die Indianer konnten damit nichts anfangen.

Einer der Höhepunkt dieser Anpassung an die weiße Welt der Einwanderer war der Beschluss, jedem Indianer automatisch die amerikanische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Am 2. Juni 1924 stimmte der Kongress in Washington folgendem Gesetz zu:

Alle Indianer, die innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten geboren wurden, werden Bürger der Vereinigten Staaten. Die Garantie dieser Staatsbürgerschaft betrifft nicht das Recht, in einem Reservat zu leben.

Ausdrücklich wurde in dem Gesetz vermerkt, dass die Indianer trotzdem ihre Kultur behalten dürfen. Es war nur noch eine kleine Gruppe von rund 300.000 Indianern, die damit noch amerikanische Staatsbürger wurden. Viele waren schon vorher Staatsbürger geworden – durch Heirat, dadurch dass sie ihre Reservate verlassen haben oder durch Eintritt in den Militärdienst.

Erster Weltkrieg als ausschlaggebender Faktor

Dass nun alle Indianer amerikanische Staatsbürger werden konnten, hatten sie unter anderem dem ersten Weltkrieg zu verdanken. Seite an Seite kämpften sie dort mit weißen Amerikanern gegen die deutschen Truppen.

Der Indianer, ein Mann ohne Land, hat mitgeholfen Belgien und andere kleine Länder zu befreien. Sie haben mitgeholfen, dass die Stars and Stripes den Sieg davongetragen haben. Sollen wir uns dann nicht reinwaschen, in dem wir alle Reservate auflösen?

Das schrieb der Politiker Joseph Dixon, der vor dem Krieg strikt dagegen war, „die verschwindende Rasse in die weiße Gesellschaft aufzunehmen“, wie er sagte.

Staatsbürgerschaft als Unterdrückungsmittel?

Viele Indianer waren von der Idee nicht gerade begeistert. Sie fürchteten, dass ihnen damit noch mehr Identität genommen würde.

Die Staatsbürgerschaft ist nur ein weiterer Weg, unsere Gebräuche und Verwaltung zu zerstören. Wie können diese Europäer uns sagen, wir sind Staatsbürger in unserem Land?

Als sich die Siedler im 19. Jahrhundert immer weiter nach Westen ausbreiteten und sich mit Indianern bis aufs Blut bekriegten, beschloss die Regierung den Indianerstämmen bestimmte Landstriche zuzuteilen, in denen sie leben konnten.

Die große Umsiedlung begann. Die Navajo Indianer zum Beispiel mussten 500 Kilometer von Arizona nach New Mexiko laufen. Viele überlebten den langen Marsch nicht.

Die Reservate waren ein Staat im Staat mit eigener Regierung, Verfassung, Recht und Gesetz. Doch mit der Staatsbürgerschaft galten auch für die Indianer in den Reservaten die gleichen Grundrechte. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das gleiche Recht für Männer und Frauen und das Recht zu wählen.

Einige Bundestaaten setzten diese Rechte jedoch nicht um: In Arizona und New Mexico durften Indianer beisielsweise erst Ende der 50er-Jahre ihre Stimme abgeben. 

Die Entscheidung vom 2. Juni 1924 führte nicht dazu, dass die Indianer nun auch am amerikanischen Traum teilhaben konnten. Im Gegenteil: Viele leiden noch heute unter Arbeitslosigkeit und Armut. Die Glückspiellizenz in den Reservaten brachte ein bisschen Geld, aber vor allem auch Gewalt und Drogen mit sich.

Buchkritik Heike Bungert - Die Indianer. Geschichte der indigenen Nationen in den USA

Die Historikerin Heike Bungert legt eine fundierte Gesamtdarstellung der Geschichte der indigenen Kulturen Nordamerikas vor; der Begegnung der Indianer mit den Euroamerikanern, der Vertreibung und dem Widerstand gegen die Zerstörung indigener Gesellschaften. Rezension von Claudia Fuchs. C. H. Beck Verlag ISBN 978-3-406-75836-2 286 Seiten 16,95 Euro

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